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Bangladesch Teil 4: Gewerkschaften, Nähfaden Und Unicef

Milena

Tag III: Die Rolle der Gewerkschaften

An unserem dritten Tag in der bangladeschischen Hauptstadt Dhaka sind wir der Einladung der Aktivistin und Fotografin Taslima Akhter gefolgt und haben der Gewerkschaft Garment Workers Solidarity einen Besuch abgestattet. Die Gewerkschaft ging aus einer Studentenvereinigung hervor und setzt sich für die Rechte von Textilarbeiter*innen ein.

Gemeinsam mit Taslima Akhter, die bekannt für ihre Fotostrecken des Rana Plaza Unglücks ist, anderen Gewerkschaftler*innen, sowie Überlebenden und Angehörigen des Rana Plaza Unfalls, haben wir uns über die Anliegen von Gewerkschaften unterhalten und dabei einiges gelernt.

Im Büro der Gewerkschaft

Neben der Arbeitssicherheit, dem Arbeitsschutz (z.B. Kündigungsschutz, Schutz bei Schwangerschaft oder Krankheit) und Gewerkschaftsfreiheit, setzen sich die Gewerkschaften der Textilindustrie auch intensiv für eine Erhöhung des Mindestlohns ein, der dieses Jahr noch verhandelt werden soll.

Wie uns bereits der Chef der Textilfabrik an unserem ersten Tag mitteilte, entspricht der Mindestlohn momentan in etwa. 54 Euro, jedoch, ist der Lohn der meisten Arbeiter*innen aufgrund verschiedener Gehaltsklassen und bezahlter Überstunden, meist doppelt so hoch.

Die Gewerkschaft fordert nun jedoch ca. 260 Euro als Existenz-sichernden Lohn. Sie sind sich zwar bewusst, dass dieser Lohn wohl kaum umsetzbar sein wird, hoffen jedoch sich bei Verhandlungen mit den Fabrikbesitzern und Produzenten irgendwo „dazwischen“ treffen zu können.

Der momentan angestrebte “mögliche” Lohn entspricht 16.000 Taka (ca. 161 €). Dieser wird auch von Clean Clothes Campaign gefordert.

Gerade die bedeutenden Produktionsaufträge in Bangladesch von H&M, Esprit, Aldi, Takko, Hugo Boss und Co. sollen eine Vorreiterrolle einnehmen, den neuen Mindestlohn unterstützen und sich dazu verpflichten auch noch nach der Lohnerhöhung in Bangladesch produzieren zu lassen.

Als “living wage” definiert die Clean Clothes Campaign einen Lohn, der in einer Arbeitswoche von nicht mehr als 48 Stunden entsteht und es den Textilarbeiter*innen ermöglicht Nahrung für sich und die Familie zu kaufen, die Miete, Krankenversicherung, Kleidung, Bildung und Transportkosten bezahlen zu können, sowie auch noch ein kleines bisschen sparen zu können.

Momentan sieht es aufgrund des weitaus niedrigeren Mindestlohns jedoch eher noch so aus, als würden die Arbeitnehmer*innen den Job bevorzugen, bei dem sie am meisten Überstunden machen können, da diese doppelt so hoch wie “normale” Arbeitsstunden sind.

So fallen zusätzlich zu den 8 Arbeitsstunden für die meisten noch 2 bis 3 freiwillige Überstunden täglich an. Zusätzlich zu der Zeit, die mit Hin- und Rückfahrt verbracht werden, haben die Menschen also wohl kaum Zeit für sich selbst, geschweige denn ihre Familie.

Die Gewerkschaften und Fabriken sind zwar nicht besonders gut aufeinander zu sprechen und die „Wahrheit“ der gegensätzlichen Aussagen kann wohl häufig nur irgendwo in der Mitte zu finden sein, jedoch haben uns beide Seiten bestätigt, dass zumindest Kinderarbeit kein akutes Problem mehr zu sein scheint, da dies inzwischen staatlich verfolgt und bestraft wird.

Das Problem hierbei: in Bangladesch leben sehr viele Menschen ohne Geburtsurkunde, weshalb das Alter häufig nie offiziell bestätigt werden kann.

Wir hoffen sehr, dass die Forderungen nach einem besseren Lohn umgesetzt werden können, jedoch wird eine nachhaltige Veränderung und Verbesserung der Wirtschaft, wohl noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Anfangen kann man jedoch indem verantwortliche Produzenten und Verbraucher*innen ihre Haltung überdenken.

Gruppenbild mit Taslima (in grün) und Näherinnen von Rana Plaza

Tag IV: Deutsche Nähfaden und viele Fragen

An unserem vierten Tag besuchten wir zuerst die Fabrik der Amann Group, eine deutsche Manufaktur, die in Dhaka Nähfaden produziert, welches dann in die umliegenden Textilfabriken verarbeitet wird.

Die ganze Crew in Warnwesten

Die Fabrik ist zwar kein „zertifiziert“ nachhaltiges Unternehmen, glich jedoch einem ganz “normalen” deutschen Werk (mit neongelben Sicherheitswesten und allem drum und dran), bei dem in der Konstruktion deutsche Standards und Sicherheitsvorkehrungen berücksichtigt wurden.

Da das Werk stark auf technische Automatisierung setzt, waren dort nicht so viele Arbeiter*innen anzutreffen. Dass jedoch so viel Aufwand für einen Nähfaden entsteht, hätten wir echt nicht gedacht.

Wir lernen alles über Nähfaden
Einblick in das Lager
So sieht das Endprodukt aus

Nach dem Rundgang durch das Werk, bei dem wir sogar einen Blick auf die Kläranlage werfen konnten (lecker, lecker), machten wir uns schon weiter zu unserer nächsten Station: UNICEF!

Eingebettet im Diplomatenviertel Dhakas liegt das Büro von UNICEF. Die Gruppe der engagierten Mitarbeiter*innen hat mit uns nochmals über die große Bedeutung der Kinder, der Zukunft Bangladeschs gesprochen und uns zum Nachdenken angeregt.

Häufig bleibt der Fokus nur innerhalb der Textilfabriken haften, jedoch weitet sich die Textilindustrie auch in viele andere Lebensräume aus. Wie lange müssen beispielsweise die Frauen während der Schwangerschaft noch arbeiten und wie sieht der Kündigungsschutz aus? Was passiert mit den Kindern, wenn die Eltern 10 bis 12 Stunden arbeiten? Wer kümmert sich? Wenn es nur 8 Wochen Elternzeit für die Mütter gibt, wer stillt das Kind dann? Wie wirkt sich die einseitige Ernährung der Kinder auf deren Entwicklung und Gesundheit aus?

UNICEF hat also einen starken Schwerpunkt auf die Kinder und Jugendlichen gelegt und befasst sich mit den Zukunftsmöglichkeiten, die diese haben.

Wenn die Eltern nicht da sein können und sich nicht um ihre Kinder kümmern können, so passiert auch nichts. Bildung ist ein Menschenrecht und eine zentrale Säule im Kampf gegen Armut. Der Teufelskreis kann nur durchbrochen werden, indem man die Gesellschaft für diese Themen sensibilisiert.

Thematiken wie frühkindliche Betreuung und Bildung, sowie die richtige Ernährung müssen ins Bewusstsein gerufen werden. Eine wirkliche Veränderung kann jedoch hauptsächlich durch die Regierung erreicht werden, indem Strukturen verändert und die Bildungsinfrastruktur gestärkt wird.

Beispielsweise gibt es einen großen Bedarf an Kindergärten, guten Schulen, qualifiziertem Lehr- und Betreuungspersonal und Ausbildungszentren.

Was muss bei den Kindern alles beachtet werden?

Zusätzlich kritisiert UNICEF auch noch die vielen Kinderehen, die gerade jungen Mädchen die Bildung erschwert. Bangladesch hat die weltweit höchste Heiratsrate von Mädchen unter 15 Jahren. Eine (schreckliche) Gesetzesänderung sieht außerdem vor, dass Mädchen sofort nach ihrer Geburt verheiratet werden dürfen.

Laut einer UNICEF-Studie zufolge werden 29 Prozent der Mädchen unter 15 Jahren verheiratet, zwei Prozent sogar mit unter 11 Jahren. Insgesamt werden über 60 Prozent der Mädchen verheiratet, bevor sie 18 Jahre alt sind.

Neben dem Abbruch einer weiterführenden Schulbildung, erwartet die Mädchen dann häufig auch noch Vernachlässigung und häusliche Gewalt durch den Ehepartner und/oder die Schwiegereltern. Auch die frühen Schwangerschaften können zu gesundheitlichen Schäden bis hin zum Tod führen.

Durch Kontakt mit Expats erfuhren wir, dass die meisten “westlichen” Leute, Touristen und andere “Ausländer*innen” sich eher isoliert von der einheimischen Bevölkerung Bangladeschs treffen und bewegen. Egal ob in exklusiven Clubs oder Hotels, aufgrund der terroristischen Anschläge, leben viele Expats in Angst und bewegen sich daher privat viel häufiger in abgeschotteten Parallelwelten – Welten mit Infinity-Pools, Alkohol, westlicher Musik und Security Guards.

Wichtig vorab: da wir nur einzelne Einblicke bekommen haben und dabei merkten wie unglaublich komplex die gesamte Situation vor Ort und die gesellschaftlichen Herausforderungen sind, spiegeln unsere Erfahrungen lediglich einen kleinen Teil und unsere persönlichen Erlebnisse wider und haben keinerlei Absolutheitsanspruch!


Foto-Credits: